Steigende Mieten und Wohnungsknappheit machen soziale Nachhaltigkeit zunehmend zum Thema. Ein Diskussionspapier von Wüest Partner liefert neue Impulse für die Immobilienbranche. Ein Gespräch mit Mariacarla Capillo, Sustainability Analyst bei Wüest Partner.
Soziale Nachhaltigkeit wird in der Immobilienbranche immer wichtiger. Was genau bedeutet der Begriff in Bezug auf Immobilienportfolios oder einfach im Zusammenhang mit Wohnen?
Es gibt noch keine einheitliche Definition von sozialer Nachhaltigkeit, und die verschiedenen Akteur:innen nutzen zurzeit unterschiedliche Konzepte. Mit dem kürzlich veröffentlichten Diskussionspapier «Soziale Nachhaltigkeit» wollen wir eine Grundlage für ein gemeinsames Verständnis von sozialer Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche schaffen und zeigen, wie man sie messen kann. In unserer Analyse haben sich drei Hauptkriterien für die soziale Nachhaltigkeit herauskristallisiert: Tragbarkeit der Mieten, adäquates Wohnen für unterschiedliche Lebenslagen und -phasen sowie Zufriedenheit und Partizipation der Bewohner:innen.
Soziale Nachhaltigkeit hatte lange Zeit das Nachsehen gegenüber der ökologischen Dimension – wo sehen Sie den Grund für das wachsende Interesse an sozialen Themen in der Immobilienbranche?
Wir sehen vielfältige Gründe. Das Hauptproblem ist der immer knapper werdende Wohnraum – das Angebot kann mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Die Mietzinsen sind stark gestiegen, und die Zahlbarkeit ist an vielen Orten nicht mehr gegeben. Das erhöht den öffentlichen und politischen Druck auf die Branche. Was dabei hineinspielt: Das Raumplanungsgesetz sieht die schonende Bodennutzung und Verdichtung nach innen vor. Dieser Prozess ist schwieriger und teurer, als man vermutlich erwartet hat. Sanierungen wurden zudem häufig aus ökologischen Gründen forciert, ohne die sozialen Folgen zu berücksichtigen, Fragen zur Rückkehr und Bezahlbarkeit für die Mieter:innen blieben oft unbeantwortet. Deshalb rückt nun die soziale Nachhaltigkeit stärker in den Fokus.
Wir sehen diese Entwicklung als Chance für unsere Wohnungssuchenden und Mieter:innen. Wie schätzen Sie die möglichen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt ein?
Das Thema ist durch die prekäre Situation auf dem Markt und die mediale Berichterstattung von Leerkündigungen so wichtig geworden. Aber: Die Wohnraumfrage ist nicht gelöst, und zwischen den Fronten gibt es derzeit auch kein Verständnis. Ich sehe zwei Perspektiven im Umgang mit sozialer Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche: die pragmatische und systemische. Die pragmatische Sichtweise soll zu rasch umsetzbaren Lösungen führen, um sozial verträgliche Ansätze im eigenen Immobilienportfolio aufzubauen. Bei der systemischen Sichtweise geht es darum, die Wohnungsknappheit nachhaltig zu lösen – das geht nur gesellschaftlich im Austausch mit allen Akteur:innen.
Was sind aus Ihrer Sicht wichtige nächste Schritte?
Wir erhoffen uns, dass wir mit dem Diskussionspapier für das Thema sensibilisieren können. Eigentümer:innen können schon mit einzelnen günstigen Wohnungen eine soziale Vermietungspraxis starten und den Zugang für vulnerable Gruppen erleichtern.